Die Frau ohne Schatten

Ich wäre nach den ersten Takten am liebsten auf die Bühne des Bielefelder Stadttheaters gesprungen um mitzumachen. Ich kannte weder die Musik noch den Inhalt dieser Oper, merkte aber sofort, daß diese Partitur genau meinem Geschmack entsprach. Genau das wollte ich. Genau diese Musik. Genau diese Oper.

Die Bielefelder Premiere war bis heute mein größtes und stärkstes Erlebnis einer Opernaufführung überhaupt. Die damalige Inszenierung von John Dew ist auch bis heute die interessanteste, die spannendste, die aufregendste, die einzig gültige Inszenierung dieser Oper für mich geblieben und ich hatte sie in der entsprechenden Spielzeit mehrmals gesehen. 

Das gesamte Ensemble war gigantisch. Es sang und spielte, als ginge es um deren Leben. Cynthia Makris als Kaiserin, Klara Barlow als Färberin und Krystyna Michalowska als Amme waren ein phänomenales Frauentrio, welches die hohen Ansprüche an ihre jeweiligen Partien darstellerisch glänzend und mit großen Stimmen meisterten. Auch Hans Dieter Bader als Kaiser und Monte Jaffe als Barak vervollständigten das Quintett mit ihrer hohen Darstellungskunst und wirklich guten Stimmen.

Die Idee, die Wächter der Stadt in der Fernsehsendung "Das Wort zum Sonntag" singen zu lassen oder die Amme ihre Fischlein aus dem Tiefkühlfach eines Kühlschrankes herauszaubern und die Fischstäbchen in die Bratpfanne auf dem Herd legen zu lassen, war grandios. 

Einer der für mich beeindruckendsten Momente dieser Oper in John Dews Inszenierung war eine Szene im ersten Aufzug. Das musikalische Zwischenspiel ziemlich am Anfang der Szene Barak - Färberin wurde phänomenal in Bildern umgesetzt. Barak saß seiner Frau gegenüber am Küchentisch und beide wagten während des großen Zwischenspiels eine Annäherung, indem sie jeweils ihre Hand zueinander über den Tisch geschoben haben. Auf dem Höhepunkt dieses musikalischen Zwischenspiels ist es ihnen jedoch nicht gelungen, sich zu berühren. Im gleichen Zuge, wie die Musik abnahm, zogen Barak und seine Frau ihre Hände jeweils wieder zu sich zurück. 

Faszinierend ebenfalls die für mich bis dahin unbekannte Idee, für eine Vorstellung eine Ersatz-Kaiserin am Bühnenrand singen zu lassen, während die eigentliche, leider an dem Abend erkältete Kaiserin Cynthia Makris in der komplizierten und komplexen Bielefelder Inszenierung spielte. 

Das riesige Orchester für diese Richard-Strauss-Oper konnte nicht in seiner Gesamtheit im Orchestergraben des Bielefelder Stadttheaters untergebracht werden. Hier wurden seinerzeit einige Teile des Orchesters in Nebenräumen ausgelagert und die Musik über Lautsprecher in den Bühnen- und Zuschauerraum übertragen. Meiner Erinnerung nach hatte diese notwendige Maßnahme keinen negativen Einfluß auf den Genuß der Musik. 

Eine andere nette Erinnerung an dieses Riesenunterfangen war ein Aufführungsausfall der FRAU OHNE SCHATTEN wegen Krankheit mehrerer Hauptdarsteller. Als Ersatz wurde die Oper NEUES VOM TAGE von Paul Hindemith gezeigt. In dieser Inszenierung kam eine Szene vor, in der einer der Darsteller eine Schallplatte aus einem Schrank zu holen hatte und dieser Mensch wühlte und kramte und meinte dann voller Verzweifung: DIE FRAU OHNE SCHATTEN haben wir heute nicht ... Und dabei hielt er irgend eine Scheibe in der Hand. Neben Schmunzeln und Lachern gab es sogar Beifall seitens des Publikums ... Hier wird auch die Spontanität und Improvisation deutlich, ohne die ein Theater kaum auskommt. 

Mittlerweile habe ich DIE FRAU OHNE SCHATTEN auch in der Semper Oper Dresden, in der Deutschen Oper Berlin, in der Finnischen Nationaloper Helsinki, in der Staatsoper Hamburg, im Nationaltheater Mannheim, in der Operà Bastille Paris, in Essen, Karlsruhe, Düsseldorf, Amsterdam, Frankfurt a.M. und in den Opernhäusern von Zürich, Graz und Breslau (Wroc?aw) erlebt. Es ist noch heute für mich so, dass die Aufführung sofort nach dem Schlußvorhang wieder von vorne beginnen kann. Das Jahr 2012 wird wieder ein FRoSCH-Jahr. Im März freue ich mich besonders auf die FRöSCHe in der Staatsoper Wien und in der Mailänder Scala und Ostern werde ich mir noch einmal die Aufführung in Düsseldorf anschauen.

Für meinen Geschmack kam jedoch bislang keine dieser Aufführungen, Bühnenbild und Regie betreffend, an die Intensität der Bielefelder John Dew-Inszenierung von 1986 heran. 

Ich kann mich erinnern, daß ich nach der Aufführung sehr aufgewühlt und nicht in der Lage war, einfach so nach Hause zu fahren. Mit einem damaligen Bekannten bin ich nachts noch lange durch die Kneipenwelt Bielefelds gedackelt und ich habe am nächsten Morgen wegen einer Opernaufführung das erste Mal die Schule geschwänzt.

Diese Bielefelder FRAU OHNE SCHATTEN war so sensationell, dass sie sogar in Kritiken aus dem Ausland (art-tv) Erwähnung findet: "... sei nur an die legendäre Aufführung 1986 in Bielefeld erinnert (John Dew), ...". 

Entstehungsgeschichte

Hofmannsthals erste Einfälle zu diesem Werk datieren auf das Jahr 1911, basierend auf der Unterhaltung deutscher Ausgewanderter von Johann Wolfgang von Goethe (1795). Die Entstehung der Oper geht nicht ohne Schwierigkeiten ab, was ein umfangreicher Briefwechsel zwischen Hofmannsthal und Strauss bezeugt. Die Vorlage Goethes behandelt Hofmannsthal frei, er erfindet zwei Paare, einen Kaiser und eine Kaiserin aus einem Traumreich bzw. einer Jenseits-Welt, und ein Färber-Ehepaar aus der irdischen Welt. Neben Goethe zieht der belesene Hofmannsthal weitere Vorlagen heran, so Teile aus 1001 Nacht, aus Grimmschen Märchen und zitiert sogar einmal wörtlich den Mephistofeles aus dem Faust (Amme: "Her zu mir").

 

In der ganzen Textanlage ist die Oper als Märchen mit dem Thema des Segens der Liebe durch Geburt der Kinder konzipiert. Hofmannsthal verglich sie in einigen Briefen mit Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte, zumindest die doppelten Paare sind dort ebenfalls angelegt. Erste Briefe datieren auf das Jahr 1911, Strauss fing sogleich zu komponieren an, die Arbeit an Text und Musik lief parallel und gegenseitig inspirierend. Die Frau ohne Schatten entstand während des Ersten Weltkrieges. Strauss war glücklich über den hervorragenden Text von Hofmannsthal, haderte jedoch mehrfach mit der Partitur und vielen Details, die er um die dramatische Wirkung willen geändert haben wollte. 1915 war die Oper fertig, doch erst 1919 wurde sie uraufgeführt. Strauss selbst bezeichnete sie als sein Sorgenkind, die Arbeit selbst war aufgrund der Komplexität von Text und Stoff während des Weltkrieges sehr anstrengend, und Strauss war auch unzufrieden mit den ersten Inszenierungen an, die seinem Anspruch offenbar nicht gerecht wurden. Musikalisch gesehen gehört Die Frau ohne Schatten zu Strauss' kompliziertesten und farbenreichsten Partituren. Im Gegensatz zu der Dichte der verwandten Werke Salome und Elektra gibt Strauss in der Frau ohne Schatten wieder größeren Monologen und Szenen Raum. Gleich fünf enorme Hauptpartien (Kaiser, Kaiserin, Färber, Färbersfrau, Amme) und ein sehr großes Orchester sowie die verschiedenen Wirklichkeits/Traumdarstellungen auf der Bühne machen die Oper auch heute noch zu einer Herausforderung für größere Opernhäuser. *

 

 

Handlung

1. Akt

Der Kaiser und die Kaiserin sind Herrscher der südöstlichen Inseln, einem Traumland. Seit ihrer Vermählung kann die Kaiserin sich nicht mehr in ein Tier verwandeln, aber sie gehört auch nicht zu den Menschen, denn sie wirft keinen Schatten und fühlt sich nicht als Mutter, was als Zeichen ein und dasselbe ist. Ihnen folgt die Amme, die alles Menschliche hasst. Ein Geisterbote verkündet ihr: Die Frist ist bald um, wenn die Frau dann keinen Schatten wirft, muss der Kaiser versteinern. Für die fehlende Fruchtbarkeit trifft ihn, nicht sie der Fluch. Die Kaiserin will den Schatten gewinnen, gemeinsam mit der Amme macht sie sich auf zu den Menschen. Der Färber Barak lebt mit seiner Frau und seinen drei zurückgebliebenen Brüdern in Armut, aber zufrieden. Auch diese Ehe ist unfruchtbar. Die Färbersfrau, ebenso unglücklich wie die Kaiserin, wird von dieser und der Amme umworben, sie soll den Schatten und die ungeborenen Kinder gegen Reichtum abgeben. Sie schließt mit der Amme den Pakt, die Kaiserin versteht den schlimmen Handel, kann ihn aber nicht verhindern. Aus einer Pfanne, in der die Färbersfrau Essen kocht, hört sie die Stimmen der ungeborenen Kinder weinen und klagen. Doch sie trennt die Betten, der Pakt ist geschlossen.

 

2. Akt

Die Amme lockt das Weib mittels eines schönen Jünglings auf den bösen Weg. Barak weiß nicht, was im Haus und in seiner Frau vorgeht. Angst umgibt die Kaiserin, wie lange ist noch die Frist? Welches Geschick wird ihr begegnen? In der dritten Nacht schafft es die Amme, dass die Färbersfrau ihren Mann angreift, sie kündigt ihm die Treue und erklärt ihm, sie habe ihren Schatten und die ungeborenen Kinder verkauft. Barak reagiert furchterregend: ihm fällt ein Richtschwert in die Hand, das er gegen seine Frau erhebt. In diesem Moment entgleitet der Amme ihre bösen Geschicke (Übermächte sind im Spiel). Die Erde tut sich auf, verschlingt das Färberpaar, ein Kahn taucht auf, in den die Amme die beiden legt.

 

3. Akt

Die Geprüften landen in der Geisterwelt, zu einer letzten Prüfung. In einem Tempel sitzt die Kaiserin und harrt des Gerichtes. Das Färberpaar, nun mehr mit Einsicht und gegenseitiger Liebe beflügelt, steht davor, man verwehrt ihnen Einlass. Die Amme entzweit die beiden erneut. "Trink von dem Wasser", ruft eine Stimme der Kaiserin, "und der Schatten wird dein sein". Die Kaiserin ist verzweifelt, sie hat Mitleid mit den Menschen und fühlt sich ihnen zugehörig. Sie trinkt nicht, da erscheint der Kaiser auf einem Sockel aus Stein. *

 

 

Musik

Strauss schafft mit seiner hochdramatischen Musik eine klare, kontrastierende Charakterisierung der Personen und Szenen, nahezu filmartig plastisch sind etwa seine Motive für den Falken, die Schwertszene im 2. Akt oder die Ankunft des Kahns im Reich der Herrscher zu Beginn des 3. Aktes. Unterschiedlich ist die Betrachtung des musikalischen Stils, manche meinen, Strauss habe in seiner musikalischen Sprache eine Kehrtwendung hin zur Tonalität gemacht, andere wiederum heben die grell-eruptiven Orchesterfarben und die z.T. atonal wirkende Harmonik hervor. Letztlich zeigt sich in diesem Werk Strauss' Meisterschaft der musikalischen Psychologisierung der Figuren mit allen (damals) zur Verfügung stehenden Mitteln, sogar eine Glasharmonika und 5 chinesische Gongs finden im Orchester Verwendung.

 

Die Frau ohne Schatten ist Programmmusik auf der Opernbühne und die Bezeichnung einer phantastischen Musik passt insofern am besten, da Strauss alle Übergänge, jegliche Stimmung und Befindlichkeit der Personen genau zeichnet. *

 

 

Die Glasharmonika

Die Glasharmonika ist ein 1761 von Benjamin Franklin entwickeltes Friktionsinstrument, das in der Geschichte der Musik eine hervorragende Stellung besetzte, heute jedoch weitgehend vergessen ist. Zur Tonerzeugung dienen verschieden große, ineinandergeschobene Glasglocken, die auf einer gemeinsamen waagerechten Achse lagern, die durch ein Pedal in Rotation versetzt wird. Gespielt wird die Glasharmonika durch das Berühren der Glockenränder mit einem feuchten Finger.

 

Eine GlasharmonikaDer Tonumfang der Glasharmonika beträgt zweieinhalb bis vier Oktaven und ist chromatisch gestimmt. Eine Variante ist die Klavierharmonika, die mit einer Tastatur und einer Mechanik zum Streichen der Gläser ausgestattet ist.

 

Es gibt zwei bekannte Möglichkeiten, Trinkgläsern Töne zu entlocken: durch Anschlagen und durch Reibung mit angefeuchteten Fingerspitzen am oberen Rand. Gläser zu musikalischen Zwecken anzuschlagen ist sicherlich schon so lange gebräuchlich, wie es Glas gibt. Viele Quellen belegen solche Idiophone aus Glas vorwiegend im orientalischen Raum. Einen der frühesten Belege für europäische Glasidiophone findet sich 1492 bei Franchino Gaffori.

 

Erst Richard Strauss nahm 1919 für seine Oper DIE FRAU OHNE SCHATTEN große Mühen und Kosten auf sich, um die Glasharmonika im Finale des Werkes im 3. Akt einsetzen zu können. Franz Schalk, der Dirigent der Uraufführung, wurde mit der Besorgung der Harmonika beauftragt und sah sich dabei großen Widrigkeiten ausgesetzt. *

 

Bedeutung & Wirkung

In der Rezeption ist DIE FRAU OHNE SCHATTEN ohne Zweifel eine der bedeutendsten Opern von Strauss, ohne die Vorgänger ELEKTRA und SALOME wäre eine solche Handlung, ein solches Ausdruckspotenzial nicht möglich gewesen. Insbesondere Symbolik und psychologische Elemente im Text wie in der Musik sind wesentliche Akzente dieser Oper, die beileibe nicht mehr im Goetheschen Sinne ein Märchen ist. Zu beziehungsreich sind etwa die Funktionen des Schattens, des Themas Fruchtbarkeit und Ehe sowie die auch in der Musikgeschichte zentralen Themen von Prüfung und Erlösung gestaltet. *

Quelle *: Wikipedia